FAR FROM HEAVEN
Women's Weepie mit Niveau
Todd Haynes Remake kam bei Kritikern und Publikum gut an. Vier Oscar-, vier Golden Globe Nominierungen und der Coppa Volpi für Julianne Moore als beste Hauptdarstellerin erhielt der Film, der mit starken Schauspielern und kräftigen Farben eine Liebesgeschichte im Amerika der 50er Jahre erzählt, angelehnt an Douglas Sirks Klassiker „All that Heaven Allows“.
Moore spielt Cathy Whitaker, die mit Frank (Dennis Quaid) eine amerikanische Musterfamilie darstellen könnte, wäre da nicht eine melodramatische Sprache, in deren Geschichten idyllische Fassaden einstürzen wie Pappwände. Cathy Whitaker ist, anders als bei Sirk, keine Kittel tragende Witwe, die von ihren Kindern bevormundet wird. Sie führt erfülltes Eheleben in eleganten Kleidern. Suggeriert zumindest die Eingangsszene.
Der Zuschauer aber merkt schnell, dass in den aufgeräumten Straßen dieser überschaubaren Kleinstadt irgendetwas nicht stimmt. In Hartford/Connecticut kennt jeder jeden. Und Cahty schwimmt gegen den Strom, bekämpft vergeblich den gnadenlosen Moralkodex einer weißen Mittelstandsgesellschaft. Die melodramatische Sprache zeigt dabei den ideologischen Widerspruch zwischen amerikanischem Traum und Wirklichkeit.
Wie schon in Sirks Klassiker „All That Heaven Allows“. Der Film wurde 1958 mit Jane Wyman und Rock Hudson in den Hauptrollen gedreht und war einer der Kassenschlager, die Douglas Sirk für Universal Pictures in die Kinos brachte. Während Rainer Werner Fassbinder denselben Plot in „Angst essen Seele auf“ (1973) auf einen deutschen Schauplatz verlegt, erzählt Haynes Film die Geschichte in ihrer ursprünglichen Zeit, den konservativen Fünfzigern. Natürlich ist „Far From Heaven“ für ein Publikum gemacht, dass Sex und Crime gewohnt ist. Deswegen verschärfen sich auch die Verhältnisse und Schicksale der Figuren.
Rassismus und Homosexualität
Der Klassenkonflikt regiert die kleine Welt. In „Far From Heaven“ und in Sirks Vorlage. Freiheitsfantasien der Heldin prallen in beiden Filmen am moralischen Einheitsdenken ihrer falschen Freunde ab, die Lage verschärft sich, wenn der Cathys Ehemann eigentlich homosexuell und Gärtner Raymond (Dennis Haysbert) nicht nur jünger, sondern – wie bei Fassbinder – ein Farbiger ist.
Das Rassenproblem in den Vereinigten Staaten inszenierte Sirk auch in „Imitation of Life“, seinem letzten, 1958 entstandenen Hollywood-Film. Die junge Sarah Jane (Susan Kohner) steckt hier in einem Identitätskonflikt. Sie verabscheut die Rolle der Mutter (Juanita Moore) als „schwarze Mammy“ und will ebenso behandelt werden wie die exzentrische weiße Schauspielerin Lora (Lana Turner). Sirk erzählt das beispielhafte Schicksal einer im Hollywood-Film der Fünfziger gern verwendeten Muster-Figur der „tragic mulatto“, einer „weiß-farbigen“ Person, die ihre familiären Wurzeln verleugnet und sich ins Unglück stürzt.
In „Far From Heaven“ lieben und leiden die Helden anders, der Film betrachtet die rassistische Mikro-Gesellschaft von außen. Wenn Cathy einmal wieder in das gewohnte “Was-werden-die-andere-sagen?“–Schema verfällt und Raymond sie fragt: „Thinking what? That two people could take an interest in one another? And for one fleeting instant could manage to see beyond the surface, beyond the color of things?”, kann man seine Ansichten loslösen vom sozialen Kontext der Fünfziger und als zeitlos gültig verstehen.
Nicht ganz zeitlos ist die Figur des Ehemanns alias „Mr. Magnatech“. Den Vorzeige-Manager quält seine missglückte „sexuelle Konvertierung“, „Special Treatment“ wie Elektroschock-Therapie oder hormonelle Behandlungen schlägt der behandelnde Arzt seinem Patienten vor. Frank leidet, und lässt seine Aggressionen lässt er an der Ehefrau aus. Er ist ein weiteres Opfer der konservativen Eisenhower-Ära, wird am Ende aber, anders als die weibliche Heldin, von seinem Leid erlöst. Er zieht zu seinem jüngeren Liebhaber.
Schuld ist nur die Liebe
Der melodramatische Dreh- und Angelpunkt, das zentrale Thema, hat sich seit Beginn der Stummfilm-Ära nicht verändert. Selbst wenn wir zu den Wurzeln des Melodrams zurück blicken, so dreht sich auch in den jahrhundertealten Bühnenstücken die die gesamte Handlung um die Liebe, die Liebe und nochmals die Liebe. Und hier haben es die melodramatischen Helden nicht leicht, denn außerhalb wartet das Böse. Da wäre er wieder: der Schurke des klassischen Bühnen-Melodrams, der aber kein abgrundtiefer Bösewicht mehr ist.
Denn wo der einst lauerte, mischt sich bei Sirk und Haynes die intrigante Gesellschaft in das Leben der Heldin ein. Und die sieht und hört einfach alles. Vor allem bei Haynes. „Far From Heaven“ präsentiert die missgünstige, hetzerische Gesellschft viel deutlicher als Sirks Original.
Die „Mikro-Gesellschaft“ Hartfords wird zur verdichteten Darstellung einer ultrakonservativen Mittelstands-Gesellschaft. In ihr thematisierte das Hollywood-Melodram der Fünfziger Jahre vor allem auch das Scheitern der Liebe innerhalb der patriarchalischen Familie.
Während sich die Liebenden bei Sirk am Ende über den Skandal um das Alter und die Gesellschaftsschicht des Rock Hudsons hinwegsetzen, sind es in „Far From Heaven“ Raymonds Hautfarbe und die Regeln der Rassentrennung, aus denen die Liebenden keinen Ausweg finden. Am Ende besänftigt uns weder ein Shoot-Out noch ein Happy-End.
Goldener Käfig voller Kitsch
Denn die Protagonisten des filmischen Melodrams sind, anders als der mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Held des klassischen griechischen Dramas, allesamt Durchschnittsmenschen. Gemäß den Figuren des „wirklichkeitsbezogenen Dramas“ entspringen sie dem Alltagsleben eines konservativen Amerikas und führen ihren Kampf ums Glück im bürgerlichen Umfeld aus.
Den lokalen Dreh- und Angelpunkt bildet in „Far From Heaven“ das hübsch dekorierte Heim. Von kitschigen Requisiten überladene Räume, bürgerliche Gardinen, geordnete Plätze einer tristen Kleinstadtszenerie und die wachsamen Augen der Nachbarn verdichten sich zu einer beklemmenden Atmosphäre.
Der goldene Käfig ist Ort der gesellschaftlichen und familiären Ordnung, an den Cathy zurückkehren muss. Am Schreibtisch neben den Gardinen trägt sie das Datum in ihr Scheck-Heft ein, der Ausflug in Raymonds freundliche Welt war nur ein Hoffnungsschimmer. Die Gesellschaft in Hartford sieht alles, weiß alles und urteilt prompt. Als Klatschmaul Mona die skandalöse Affäre entdeckt, steht Freundin Eleanors Telefon steht nicht mehr still. Und Cathys Leben wird zum Spießrutenlauf.
Der Schein trügt
Einengend klaustrophobisch gestaltet sich die Welt der einsamen Heldinnen, hinter deren vergitterten Fenstern Gardinen im Wind wehen. Dabei spielt der Kitsch, der uns heute zum Lachen bringt, im neuen Melodram eine große Rolle. Cathys Kleid am Weihnachtstage ist darin so rot wie das Kostüm des Weihnachtsmannes, die Schleife ihrer Schürze genauso grün wie der überladene Tannenbaum. Aufopfernd serviert sie Frank einen Drink: „Here Honey, just the way you like it.“ Tochter Janice wickelt währenddessen rosa Ballettschuhe aus pastellfarbenem Seidenpapier, Sohn David spielt mit seiner neuen Dampflok.
Obwohl der Zuschauer die verkitschte Weihnachts-Idylle kopfschüttelnd belächeln kann, bietet die weitere Handlung wenig zu Lachen. Der Gärtner ist kein Rosenkavalier, seine romantische Ader hat nichts mit der Leinwand-Männlichkeit des „ultra-american Type“ Rock Hudson gemein. Und man lacht nicht, als er Cathy vorsichtig fragt, ob sie ihn zur Abwechslung in den Wald begleiten wolle. Wir erleben auch keinen glücklichen Zufallsmoment wie bei Sirks Cary, die - von einer Taube erschreckt - rein zufällig in Rons Armen landet.
Nein. De neue Heldin findet nirgendwo Schutz, auch nicht bei ihrem Geliebten. Ihr Gärtner klingelt nicht, wie im Original, um der schüchternen Witwe einen Heiratsantrag zu machen. Raymond tritt zurückhaltend auf. Seine Lebensumstände als allein erziehender Witwer widersprechen der Maskulinität eines Helden der fünfziger Jahre. Deswegen jagt er auch keine Rebhühner sondern teilt mit Cathy seine Ansichten über abstrakte Kunst.
„I’ve seen the sparks fly, all kinds,“ verrät er und dramatisiert damit die Tragik der unerfüllbaren Romanze. Die neue Gärtner-Figur bricht daher mit jeglichen stereotypen Männer-Rollen vergangener Melodramen. Weder der Verführer, noch der herrische Patriarch, noch der heldenhafte Retter können Raymonds Funktion beschreiben.
Die Geschlechter-Rollen innerhalb der verbotenen Liebe sind neu verteilt. Im modernen Melodram scheinen die wenigen Berührungen zwischen Raymond und Cathy so zaghaft und ernst, dass von altmodischer Übertriebenheit kaum die Rede sein kann. Allzu tragisch ist der Ausgang des Geschehens, zu schwierig die Konfrontation mit Intoleranz und Rassismus. Auch verzichtet das neue Melodram auf schwulstige Komplimente, denn selbst wenn Cathy Frank im dramatischen Augenblick der missglückten Verführung doppelt beteuert „You’re all men to me, Frank, you’re all men!“ verstimmen die Lacher, weil Frank sie deswegen schlägt.
Dagegen wird bei Sirks Klassiker heute gnadenlos losgekichert. Wenn Hudson der Heldin galant in die Jacke hilft, ihr die Schuhe anzieht, einen Fasan erlegt und die Weinflasche mit seinen Zähnen entkorkt, wird die Handlung mit einer Ironie belegt, die wir auf unser außerfilmisches Wissen über Rock Hudsons Homosexualität zurückführen können. Überhaupt werden die stereotypen Geschlechterrollen des klassischen Melodrams mittlerweile zum Kitsch erhoben. Haynes beschränkt diesen Kitsch auf die Kulisse, bestimmt durch sie aber weder die Dialoge noch die Handlung. Er vermeidet melodramatische Stereotypen und präsentiert seine Heldin so selbstständig wie man es sich von einer Hausfrau der Fünfziger nur vorstellen kann.
Der Text zwischen den Zeilen
Haynes inszeniert einen amerikanischen Traum aus dem Bilderbuch, um ihn wenig später wie eine Seifenblase zerplatzen zu lassen. Wie wir es von Sirk gewohnt sind, durchbricht die melodramatische Handlung eine heile Welt voller Liebes-Träume und erzeugt einen Widerspruch zwischen dem „Innen“ der Figuren und dem „Außen“ der Gesellschaft. Dieser Widerspruch kann in der Musik – wie im herkömmlichen Melodram - aber auch im Einsatz von Dekor, Farben und Licht - zwischen den Zeilen gelesen werden.
Besonders das Dekor symbolisiert den Widerspruch zwischen dem öffentlichem Ehe-Leben und der traurigen Realität. Fernseher, Fasan (den Sirks Kirby noch jagen ging) und das Werbebild mit „Mr. and Mrs. Magnatech“ stehen in ironischem Kontrast zu Cathys und Franks unerfüllter Sehnsucht. Die in „Far From Heaven“ verwendete Requisite zeigt Relikte einer widersprüchlichen Schein-Welt, die Worte mit Bildern durchkreuzen.
“Melodrama can be seen as having an ideological function in working certain contradictions through the surface and re-presenting them in an aesthetic form,” erklärt die Filmkritikerin Laura Mulvey. Angelehnt an Sirks Inszenierungen, schafft Haynes eine Erzähl-Ebene der Symbolik, in der die Handlung durch Licht, Dekor und kameratechnische Inszenierungen vom Bild in die Bedeutungsebene übertragen wird: Das Bild kommentiert sich in der mis en scène von selbst.
Als herausragend kraftvolle Metapher gilt Sirks lebendig begrabene Witwe: Anstelle der versprochenen Komödie spiegelt sich im Fernsehgerät die traurige Cary. Genau diese Brechungen der Handlung sind es, die ironische Distanz erzeugen und Sirks Geschichten aus der breiten Masse vergangener Hollywood-Schnulzen hervorheben.
Die Farben im Melodram
Neben dem Dekor geben vor allem die Farben in beiden Storys den Ton an. In denselben Herbstfarben, in denen in Cathys Garten die Blätter von den Bäumen fallen, leuchten auch ihre Kleider.
“I had a feeling this might be yours. … It’s the color. It just seemed right” erklärt Raymond und überreicht ihr einen fliederfarbenen Schal, den sie schließlich am Tag des Abschieds in ihrem Mantel findet.
Überhaupt ist der Film ist von einem Farb-Thema durchzogen: Farben tragen in „Far From Heaven“, genauso wie bei Sirk, eine symbolische Bedeutung, die bereits das Bühnen-Melodram des 19. Jahrhunderts als Genre mit einer „visuell abwechslungsreichen Darbietung“ auszeichnete. Im filmischen Melodram unterstreichen sie Gefühle und dienen als Indikatoren des gesellschaftlichen Zwangs sowie seines Gegenparts, der Liebe. Sirk wurde schließlich deswegen „Skeptiker des Lichts“ genannt, weil er im Spiel mit Licht und Schatten Emotionen untermauert und Spannung erzeugt. In „All That Heaven Allows“ bedeuten Schatten verhüllte Gesichter nichts Gutes. Eine Ofenstellwand trennt Mutter und Sohn nicht nur räumlich.
Falsches Spiegelbild
Aufgelockert wird das bürgerliche zu Hause beider Heldinnen durch die Welt der Liebe und die Natur, in der ein „Liebesbaum“ Trost spendet. Betritt Cathy das geräumige Haus, ist der Sirksche Spiegel nicht weit. Sirk und die Spiegel - ein starker Auftritt, der ebenfalls erst durch das wachsende Interesse an seinen Filmen in den Sechziger Jahren entdeckt wurde. Spiegel, Gardinen und gitterartige Fensterrahmen, übernehmen in ihrer Funktion als Melos (Dekor) ein ästhetisierendes Stilmittel mit kommentierendem Charakter. So sehen wir auch die zärtliche Szene zwischen Cary und Janice als Spiegelbild des Familienglücks, das schon im nächsten Augenblick durch Cathys Frage nach dem abwesenden Ehemann zerstört wird. Die Andeutung der vollkommenen Harmonie verwandelt sich in eine Farce. Und das Glück stellt sich als falsche Gleichung heraus. Wie alle Spiegelbilder im Melodram.
Happy Ending?
Happy Ending?
Ofenstellwände, Fensterrahmen, Gardinen und Spiegel verleihen Welt der Heldin eine Intensität mit unüberwindbaren Grenzen. In dieser Welt gibt es einfach kein Pardon. Als Raymond nach Baltimore zieht und selbst dort keine Zukunft für eine unmoralische Liebe sieht, findet Cathy weder einen Kompromiss noch einen Ausweg. Die neue Heldin ist im Muster ihrer Mutterrolle gefangen und bleibt einsam am Bahnhof zurück. Himmelspforten öffnen sich in „Far From Heaven“ für niemanden.
Hinter dem ursprünglichen “All That Heaven Allows” versteckt sich ein Film-Titel, den der Zuschauer je nach Verständnis positiv oder negativ deuten kann. Heute wissen wir, dass Sirk das vorgeschriebene Happy End mit einer zunächst unbemerkten Ambivalenz verpackte. In einem späteren Interview verrät er seine eigentliche Idee:
„I just put the title like a cup of tea, following Brecht’s recipe. The studio loved this title, they thought it meant you could have everything you wanted. I meant it exactly the other way round. As far as I am concerned, heaven is stingy”.
Mit den Sirkschen Melodramen enden die Zeiten, in denen beim Grand Finale die Tugenden belohnt und die Bösen bestraft werden, das wirkliche Glück bleibt aus, Cary bekommt einen bettlägerigen Ehemann, der kein Rebell mehr ist, und Cathy verliert sich in Einsamkeit.
Fazit
Zum Schluss bricht „Far From Heaven“ ganz und gar mit der glücklichen Wendung seiner Vorlage. Trost kann die Heldin hier nirgendwo finden, und der Film endet dort, wo er begonnen hat. Mit dem Blick auf die öde Kleinstadt-Kulisse. Wir erkennen, dass die Liebe einer rassistischen Gesellschaft unterliegt und Cathy zu ihren Gardinen zurückkehren muss. Auch wenn weiße Blüten in der letzten Einstellung einen Neubeginn andeuten, lässt sich das Versagen der Gesellschaft einmal „unter die Oberfläche“ zu blicken und der Liebe eine Chance zu geben nicht leugnen.Gegen die vernichtenden Angriffe der Mikro-Gesellschaft schützt die Helden im neuen Melodram weder eine Mühle als Zufluchtsort, noch hören sie die erlösende Stimme der deus ex machina. Die Ausweglosigkeit im Klassen- und Rassenkonflikt machen das neue Melodram zum Drama. Cathy Whitaker ist „dem Himmel so fern“ und bleibt allein zurück. Das fehlende Happy End im neuen Melodram hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Und eine auf den Rassismus bezogene Moral.
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